Echte Engelwurz

Text & Fotos: Henrike Lühr

Echte Engelwurz

Angelica archangelica L. ist eine Kaltkeimerin der nördlichen Hemisphäre, deren ursprüngliche Verbreitung sich von Grönland über Nord-, Mittel- und Osteuropa bis in den Kaukasus erstreckt, von Sibirien bis Zentralasien und die auch in Nordamerika vorkommt.

Die Echte Engelwurz ist eine kurzlebige, ausladende und hohe Staude, die über zwei Meter Höhe erreichen kann. Sie bildet im ersten Jahr eine Blattrosette, im zweiten oder manchmal dritten Jahr schieben sich meist mehrere hohle, an der Basis rot überlaufene Stängel aus ihrer Mitte heraus, an denen sich große,endständige, halbkugelige und doppeldoldige Blütenstände bilden. Die zwittrigen, weiß-grünen Einzelblütchen verströmen einen wunderbaren, stark aromatischen Duft und werden von Insekten aller Art besucht. Von Mai bis August bilden sich dann die Samen (Spaltfrüchte), die von cremeweiß-grünlich bis braun-rostrosa abreifen.

Echte Engelwurz

Angelika gehört zur Familie der Doldenblütler (Umbelliferae), braucht einen sonnigen bis halbschattigen Standort, nährstoffreichen Boden und gedeiht hervorragend auf feuchten Waldlichtungen, an Bachläufen, auf feuchten Wiesen ohne Staunässe oder auch im Permakulturgarten, z.B. mit Sonne im Nachmittagsbereich. 

Sie liebt feuchte Standorte und braucht einen tiefgründigen, lockeren Boden, gerne mit Lehmanteil, wobei ein ausgewogener, eigener Kompost Wunder bewirkt, alternativ eine nährstoffreiche, gute Bio-Erde. Für den Saatgut-Start kann Bio-Anzuchterde verwendet werden, die mit etwas feinkrümeliger Erde (möglichst frei von anderen Sämereien) und/oder auch etwas Sand abgemischt werden kann.

Der beste Aussaattermin für Angelica archangelica ist gleich nach Reife der Samen im August, erstreckt sich aber auch noch vom Spätherbst bis in den Vorfrühling. In dieser Zeit können noch gute Auflaufquoten erzielt werden. Die Phase bis zum Aufflaufen des Saatguts kann ziemlich lange andauern, drei Monate sind durchaus normal.

Engelwurz Keimlinge

Um eine Angelikapflanze anzuziehen braucht es gutes, möglichst frisches Saatgut, etwas Fingerspitzengefühl und Geduld. Wenn sie aber ersteinmal im Bestand ist und Boden und Licht des Ortes ihr zusagen, wird ihre Nachkommenschaft bleiben und irgendwo im Garten oder der Umgebung wieder auftauchen.

Engelwurz Dolde mit Samen

Wenn das Saatgut eintrifft, ist es bereis seit Ernte der reifen Früchte bis zum Versand durchgehend bei 5°C gekühlt worden. Die Samen müssen dann möglichst zügig einige Stunden (max. 24h) vorgequollen werden. Das kann auf feuchtem Filterpapier geschehen, besser noch in Wasser oder abgekühltem Kamillentee, der immer mal wieder mittels eines Holzstäbchens durch mehrfaches Umrühren belüftet wird, wobei die Samen möglichst nicht zerbrechen sollten ("geknickte Flügel" vermeiden).

Hat man gerade keine Zeit, wenn das Saatgut ankommt, kann es auch noch (möglichst wenige) Tage im Kühlschrank verbringen. Dazu sollte es mit seiner Tüte in ein sauberes Schraubglas gegeben werden, um eventuelle Keime bis zur Aussaat zu vermeiden. Zügiges Aussäen sollte aber angestrebt werden, um gutes Auflaufen zu erzielen.

Nach dem Vorquellen wird sofort in Aussaatschalen oder Töpfe für die Freilandüberwinterung ausgesät, nur mit wenigst Erde überkrümelt (Lichtkeimer!), angedrückt, gut angegossen und draußen an einem geschützen Ort aufgestellt.

Alternatives Vorgehen: 

Oder das Saatgut kann nach dem Vorquellen anschließend gleich einer feuchten Kaltstratifikation unterzogen werden. Dazu wird das vorgequollene feuchte, aber nicht nasse Saatgut möglichst luftdicht in Plastiktütchen im Kühlschrank bei 5-10°C zwei bis maximal vier Wochen gelagert, eventuell mit Zugabe von möglichst keimfreiem Sand, der später, vor der Aussaat, mittels eines Siebes wieder ausgewaschen werden kann.

(Staunässe bei dieser Methode unbedingt vermeiden, ebenso Austrocknung, daher Tüten regelmäßig begutachten!)

Dieser Stratifikationsschritt ist vielleicht nicht immer nötig, stellt aber eine kontrollierte kalt-feucht-Phase bei eingestellter Temperatur dar und hilft, eine eventuelle Samenruhe zu durchbrechen. Danach wird dann möglichst sofort gesät.

Falls nach Eintreffen des Saatguts schon gleich (nach dem Vorquellen- wie beschrieben) zum Aufstellen draußen in Töpfe gesät wurde und die Saat auch nach vier Wochen noch nicht aufgelaufen ist, kann man die Töpfe wieder reinnehmen, um sie durch eine längere, kontrollierte Kühlphase bei 5°C im Kühlschrank gehen zu lassen (Siehe Alternatives Vorgehen, aber in Töpfen).

Gibt es draußen ausreichend kalte Tage, die das Saatgut bis zum Frühjahr durchlaufen muss, um die Keimruhe zu durchbrechen, dann gilt es nur abzuwarten, ob diese Zeitspanne für den Keimimpuls ausreichend sein wird. Das wäre die Methode mit dem Vertrauen. Und die einfachste.

Es lohnt sich immer, nicht aufgelaufenes Saatgut noch länger als die gärtnerische Geduld meistens sowieso schon ist, stehenzulassen und auf das Erwachen aus dem Dornröschenschlaf zu warten…

Kaltkeimer brauchen eine bestimmte Menge kalter Tage bei ihnen zusagender Feuchtigkeit, und wenn diese wärmeren und kälteren Phasen alternieren, kann dadurch auch ein gutes Auflaufen erzielt werden.

Falls sich bis zum Frühjahr nur ein geringer Keimungs-Erfolg eingestellt haben sollte, könnte eine Heizmatte (20-25°C) im Gewächshaus oder das Aufstellen der feucht gehaltenen Aussaatschalen im Haus bei höhen Temperaturen (20-25°C) auch noch Erfolge bringen.

Angelica reife Samen

Zusammenfassend könnte man sagen, daß das Saatgut also mindestens einer längeren Kälteperiode oder abwechselnden Warm-Kaltphasen ausgesetzt werden sollte, bei denen die Summe der Kaltphasen ausreichen muss, damit das Saatgut im Frühjahr mit aufkommender Wärme und Sonneneinstrahlung aufläuft, und gelegentlich auch schon im Spätherbst. Ihr müsst also unter euren Bedingungen entscheiden, welche Stratifikationsmethode ihr anwendet, wenn das Saatgut eintrifft.

Ist es dann ersteinmal geschafft, eine Engelwurz im Garten, einer Lichtung, einem kleinen Bach oder der offenen Waldrandgrenze zu etablieren, wird sie sich mit etwas Glück und den ihr zusagenden Boden- und Lichtverhältnissen ansiedeln und für Nachkommen sorgen.

Angelica Wurzel

Angelika wurde in Mitteleuropa seit Einführung durch die Wikinger im 10.Jahrhundert mit großer Beliebtheit verwendet und in den Klostergärten als wichtige volksmedizinische Pflanze bei Verdauungs-und Atemwegsbeschwerden kultiviert. Sie regt Magensaft-, Bauchspeichel- und Gallensaftsekretion an, ist krampflindernd und Husten-lösend und soll als Bäder-Anwendung auch bei Rheuma und Gicht hilfreich sein. (1)

Angelica

Die Heilkräfte der Echten Engelwurz sind legendär und ihr wird eine Verbindung zum Magischen nachgesagt. Noch im 18.Jahrhundert nahm man in Europa Angelika ein, um sich vor der Pest zu schützen und bepuderte die Kleidung zum Schutz vor Ansteckung mit ihrem Pulver.(1)

In der freien Natur ist die Brustwurz seltener zu findenen, manchmal aber in der Nähe alter Klöster, was auf traditionellen Anbau zu medizinischen Zwecken hindeutet und von ihrer Popularität in der Volksheilkunde zeugt.

Juliette de Bairacli Levy nennt als Hauptanwendungen Verdauungsprobleme einschließlich Koliken und Sodbrennen und schwärmt von kandierten Angelikastängeln als eine hocharomatische Süßigkeit und Leckerei in Frankreich und Spanien ihrer Zeit. (2)

Angelica

Angelikasamen und Stängel, die einfach in Honig eingelegt werden, sind eine rohe wenngleich nicht vegane Alternative zu Zucker.

Engelwurz in Honig eingelegt
Engelwurz

Die Pflanzenwurzel wird im Winter des ersten oder zu Beginn ihres zweiten Jahres geerntet, die getrocknete Wurzel ist dann der Ausgangsstoff für weitere Darreichungen. Auszüge in Wasser, Honig oder Alkohol funktionieren nach eigener Erfahrung auch mit Stängeln und Samen sehr gut. Getrocknete Blätter eignen sich besonders zur Herstellung von Tee.

Alle Teile der Engelwurz werden bis in die heutige Zeit gegessen (1) und haben verschiedene (Geschmacks)-Qualitäten, Aromen und Anwendungsgebiete. Kräuterlikören aller Art ist Angelika beigesetzt, und auch die Rezeptur des berühmten Theriak enthält Angelika.

Bei bestimmten Menschen soll Angelika Photosensibilisierung verursachen können, und auch bei Diabetes ist wohl Vorsicht angesagt, da Angelica den Blutzuckerspiegel im Urin erhöhen kann. (3)

Angelica archangelica ist traditionell mit Schutz assoziiert worden, sie symbolisiert(e) Inspiration, Ekstase und Magie. Und in Lappland wurden DichterInnen mit Angelikablättern und Blüten gekrönt, um sie zu inspirieren. (4)

 

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Quellen:

(1) Wala Arzneimittel, Heilpflanzen-Lexikon: Engelwurz; www.walaarzneimittel.de/heilpflanzenlexikon-a-z/engelwurz

(2) Juliette de Bairacli Levi, Common Herbs for Natural Health, Ash Tree Publishing, Woodstock, NY, USA 1997, p.1

(3) Lucy Jones, A Working Herbal Dispensary, First published in 2023 by Aeon Books LTD, p.45

(4) Lucy Jones, A Working Herbal Dispensary, First published in 2023 by Aeon Books LTD, p. 47